Musik
1:
God
shuffled his Feet,
auf: Crash Test Dummies,
BMG/Arista 7 4321165312, LC 3484
((danach
unterlegen und mitlaufen lassen))
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1993.
Die "Crash Test Dummies" kommen mit einem merkwürdigen
Lied auf den Markt. Es ist eine Geschichte über den achten Schöpfungstag.
Gott lädt die eben erst geschaffenen Menschen zum Picknick mit Brot und
Wein ein, um mit ihnen zu plauschen. Aber schon das erste gemütliche
Beisammensein im Paradies wird zum Flop. Seine Geschöpfe sind neugierig
und fragen ihn ein paar Dinge darüber, wie es denn so ist im Himmel. Ob
man sich dort die Haare schneiden muss, oder vielleicht ein zu Lebzeiten
verlorenes Auge zurückerhält. Gott wird verlegen und antwortet mit einer
Geschichte, deren Sinn die Menschen nicht verstehen. „War das ein
Gleichnis oder war es ein subtiler Scherz?“ fragen sie.

Thomas-Morus-Akademie
in Bergisch-Gladbach-Bensberg
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Im
Rahmen der Tagung „Sakrales in den Charts“ in der Katholischen
Thomas-Morus-Akademie hat der Lübecker Pastor, Theologe und Popularmusik-Forscher
Bernd Schwarze versucht, dieses Lied zu deuten. Für ihn ist ein Ausdruck
des Religiösen, von Transzendierung, von Überschreitung des Alltäglichen:
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O-Ton
1 (Dr. Bernd Schwarze, Lübeck)
Die Fragen, die die Paradiesbewohner in poetischer Konkretisierung
an Gott richten sind nicht die Fragen Adams unmittelbar nach
seiner Erschaffung, sondern vielmehr die religiösen Fragen von
heute, zugespitzte Probleme des individuellen Glaubens. Die
Unmöglichkeit gelingender Kommunikation wird in die
Schöpfungsgeschichte eingetragen. Das Gesprächsdesaster zwischen
Gott und Mensch begann schon am achten Tag. War Gottes Antwort ein
Gleichnis oder ein subtiler Scherz? Der Song bietet keine Lösung
an. Statt dessen lässt er im wiederkehrenden Refrain Gott erneut
verlegen mit den Füßen scharren. Gott ist ratlos angesichts
seiner eigenen Schöpfung. |
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Religiöse
Themen und Religion kommen gerade in den letzten Jahren häufig in
Songs der populären Musikgenres vor. Zum Beispiel bei Wolfgang
Niedecken und seiner Gruppe BAP oder den Toten Hosen, dort
sogar mit einem Konzeptalbum.
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((bei „den“
bereits reinziehen))
Musik
2:
Die
Zehn Gebote,
auf: Die Toten Hosen „Opium fürs Volk“,
JKP 0630-13829-2, LC 3055
((sofort
rausziehen))
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In
seinem Kampf um die Seele seines Vaters variiert Sting den
Gott-Satan-Wettstreit des Hiob-Buches. Und Madonna vollführt in ihrem
umstrittenen Video „Like a prayer“ in einem Kirchenraum eine Art
sakralen Traumtanz und zitiert dabei eine Fülle von christlichen Metaphern
und Heilsversprechen . Die zentrale Frage in der Bergisch Gladbacher
Akademie war nun, ob sich hinter diesem Trend ein Anzeichen für eine neue
Hinwendung zum Religiösen verbirgt?
Bernd
Schwarze hat bei seinen Analysen eine kreative, aber häretische Religiosität
beobachtet, eine, die wenig mit den Dogmen der Kirchen zu tun hat.
O-Ton 2 (Dr. Bernd Schwarze,
Timmendorfer Strand)
Die Kirche erscheint als Ort positiver Konnotationen nur sehr selten in
der Popkultur. Eine Ausnahme bilden nur die Werke einiger Stars, die
ihre Selbstinszenierung bewusst in den christlichen Kontext stellen,
Prince etwa oder Madonna. Sie stylen sich selbst zu heilsrelevanten
Persönlichkeiten und es bleibt meist offen, ob sie in ihrer Botschaft
sich selbst preisen oder eine höhere Macht. Ihre Religiosität ist eine
Designer-Glaube, den ich "Faith Design" nennen möchte.
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Eine
heute schon legendäre Produktion hat wenige Jahre zuvor Formen
religiöser Musik popularisiert, die lange Zeit kaum mehr als eine
Liebhaberei von einigen Sammlern und Anhängern mystisch-altkirchlicher
Musik waren.
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Musik 3:
The Voice
of Enigma,
auf: Enigma MCMXC a.D.,
Virgin 261209, LC 3098
((nach 12
Sekunden absenken und unter dem Text rausziehen))
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„Guten
Abend. Das ist die Stimme von Enigma. Lass dich für eine Stunde in die
wundervolle Welt der Musik, der Spiritualität und der Meditation führen.
Atme durch. Entspanne dich. Lass den Rhythmus auf dich wirken.“ Mit
diesen Worten und einem Fluss von assoziativen Bildern, zusammengesetzt
aus Naturerscheinungen, Motiven der religiösen Mythologie und Aufnahmen
von sagenumwobenen Kult-Orten aus aller Welt lockte Anfang der neunziger
Jahre ein Musikvideo seine Zuschauer und Hörer in religiöse Sphären.
Auf die Worte kommt es dabei nicht an. Und doch führt das nächste Stück
rhythmisch unterstützt in die Choral-Schola eines Mönchsklosters.
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Musik 4:
Sadeness,
auf: Enigma MCMXC a.D.,
Virgin 261209, LC 3098
((nach ca.
12 Sekunden rausziehen))
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O-Ton 3 (Prof. Dr. Erik
Fischer, Bonn)
Selbstverständlich ist es die Gruppe Enigma gewesen, die zum ersten Mal
innerhalb der Popularmusik - gleichsam nach außen hin, demonstrativ
solche Anknüpfungen an sakrale Musik, und damit zugleich an die
Tradition der abendländischen Musik gewagt hat, also eine Verknüpfung
gewagt hat zwischen Popular- oder U-Musik und der Tradition des
Abendlandes, der standardisiert so bezeichneten E-Musik.
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Erik
Fischer, Professor für Musikwissenschaft an der Universität Bonn findet
zunächst die handfesten ökonomischen Folgen bedeutsam. Teile der
sogenannten E-Musik erhielten damals erstmals ein zugkräftiges Argument
zur Vermarktung ihrer Tonträger erhalten. Das Spannende ist, glaubt er...
O-Ton 4 (Prof. Dr. Erik
Fischer, Bonn)
... dass plötzlich die Ensembles für alte Musik ihre Aufnahmen von
Gregorianischem Choral als das Original zu Enigma auf den Markt bringen
konnten, und in diesem Zusammenhang ist auch die Popularität des Canto
Gregoriano sozusagen als das Authentische zum Popangebot zu verstehen.
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Musik 5:
Pater
noster,
auf: Die Botschaft der Mönche ,
Deutsche Grammophon 2894453912, LC 0173
((nach ca. 8 Sekunden
rausziehen))
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Gregorianik,
und in seinem Schatten jedwede andere neu aufgelegte alte Kirchenmusik ,
hat seit Enigma deutlich günstigere Marktbedingungen, ob als
vermeintliches Original oder als sphärische Popversion. Aber was sagen
solche anhaltenden Markterfolge mit religiöser Musik oder religiösen
Metaphern über die Wiederkehr des Religiösen? Beate Schlüter,
Musikwissenschaftlerin an der Universität Bonn, schätzt das sehr nüchtern
ein:
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O-Ton 5 (Dr. Bettina
Schlüter, Uni Bonn)
Es geht letztlich um die pure Erfahrung von Sinn oder besser die pure
Erfahrung von Bedeutung als Bedeutung. Es geht also um das Erzeugen von
Bedeutsamkeit in der Orientierung auf ein Zentrum, das selber inhaltlich
völlig unkonkret, leer, unbestimmt bleibt.
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Es
verbirgt sich also nicht einmal ein Designer-Glaube hinter solchen
Klängen und Texten und den dazu inszenierten Bilderwelten, jedenfalls
nicht bei den Konsumenten. Bei der Vermarktung dieser Musik geht es nur
darum, den Eindruck vermitteln, dass sie über den Alltag hinausweist.
Die Klangfiguren und Bildsymbole appellieren häufig an diffuse bedeutungsträchtige
Erinnerungen und mobilisieren entsprechende Gefühle. Auf diese Weise
bedienen sie unbestimmte religiöse Sehnsüchte. Dennoch können
Großinstitutionen wie die Kirchen daraus keine Hoffnung schöpfen,
meint Bettina Schlüter. Es wird bei den Hörern weder eine spezifisch
religiöse Werthaltung begründet noch ein konkretes Glaubenssystem
nahegelegt. Im Zeitalter der Postmoderne sind alle große Deutungen
unglaubwürdig geworden. Auch in der Musik sind sie bloß noch Ausdruck
eines Lebensstils. Zitate des Religiösen werden zum Ersatz für eine
gelebte Religiosität. An die Stelle eines, durch ein Glaubenssystem
gestifteten Sinns tritt kaum mehr als ästhetische Differenzierung und
damit zugleich einfach nur individueller Genuss.
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